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Didaktische Überlegungen

Warum Kinder und Jugendliche nicht alles dürfen und trotzdem ein Recht auf Aufklärung haben…

1. Einschränkungen der bürgerlichen Freiheiten in einer demokratischen Gesellschaft

In einer demokratischen Gesellschaft müssen Einschränkungen der (bürgerlichen) Freiheiten immer besonders begründet und legitimiert werden. Es würde einer demokratischen Gesellschaft widersprechen, wenn man aufgrund angenommener individuell noch nicht zureichend ausgebildeter Fähigkeiten und Fertigkeiten eine Gruppe von Menschen, hier: Kinder und Jugendliche, einfach vor gesetzte Tatsachen stellen würde, ohne die Einschränkungen der Freiheiten zu begründen oder zu erklären. Diese Begründungsverpflichtung kennt zwei Seiten. Die erste Seite richtet sich an die Kinder und Jugendlichen selbst, die von der Einschränkung betroffen sind. Für sie muss aus dieser Einschränkung ein positiver persönlicher Gewinn gezogen werden und die Einschränkung muss vorbehaltlich des zu erwartenden Vorteils erklärt werden. Die andere Seite richtet sich an die gesellschaftliche Öffentlichkeit: an Eltern, Erwachsene, die mit Jugendlichen und Kindern zu tun haben oder auch einfach an die Gemeinschaft der Erwachsenen, für die diese Einschränkungen einmal gegolten haben als sie selbst Jugendliche waren und nun nicht mehr gelten. Wenn man sich mit dem Jugendmedienschutz beschäftigt, kann man deshalb immer in zwei Richtung sehen: in die Richtung der einzelnen Jugendlichen, deren Bewegungsfreiheit aus verschiedenen Gründen eingeschränkt sind und in die Richtung der Gesellschaft, die ihre Gründe für eine Einschränkung demokratisch legitimiert.

Das Ausmaß und die Art und Weise der Einschränkungen hängt von kulturellen Werten (Nacktheit in der Öffentlichkeit, Rollenmodelle von Mann und Frau u. Ä. m.), den herrschenden Vorstellungen von Kindheit und Jugend, von Elternschaft und Bildung, von Kunst und Kultur und den Zielen, die man mit Entwicklung und Erziehung in einer demokratischen Gesellschaft verbindet, ab. Solche Vorstellungen und Ziele sind in einer demokratischen Gesellschaft ausdifferenziert und historisch ausgesprochen wandelbar. Weil also nicht von allgemeingültigen und historisch unwandelbaren Werten und Vorstellungen zur kindlichen Entwicklung und Erziehung ausgegangen werden kann, müssen Einschränkung individuell und gesellschaftlich immer wieder neu begründet werden. Die Vorstellung beispielsweise, inwieweit körperliche Bedürfnisse, lustvolle Bedürfnisse in der Öffentlichkeit ausgelebt werden sollten, haben sich in den letzten 50 Jahren dramatisch verändert. Entsprechend hat sich auch die Vorstellung verändert, was Kindern und Jugendlichen an Nacktheit und sexuellen Handlungen zuzumuten sei.

Wenn Filme mit einer Altersbeschränkung belegt werden, wenn eine Institution entscheidet, dass ein Film nicht von jüngeren Kindern als in der Altersfreigabe angegeben, geschaut werden soll, dann sollten die Grundlagen dieser Entscheidung auch für die konkreten Kinder und Jugendlichen einer Generation selbst nachvollziehbar sein und zugleich sollten die Implikationen einer solchen Entscheidung in der Öffentlichkeit möglichst transparent gemacht werden. Wenn Kinder und Jugendliche sich mit solcherart Begründungen und den Begründungszusammenhängen auseinandersetzen lernen, dann lernen sie den in einer Demokratie nicht immer so schnell zu durchschauenden Zusammenhang von Werturteilen – Entscheidungen – Verfahrensweisen besser verstehen. Denn das genau fällt Jugendlichen noch schwer: Zu begreifen, dass individuelle Bedürfnisse im Rahmen des gesellschaftlichen Zusammenlebens immer wieder neu bewertet werden müssen und diesbezügliche Regelungen mitunter als Einschränkungen zu lesen sind, diese aber der Entfaltung der individuellen Bedürfnisse dienen sollen.

2. Aus guten Gründen schützen: Heranwachsende in der Entwicklung

Kinder und Jugendliche unterstehen in der herrschenden Meinung einem besonderen Schutz, weil sie entwicklungsbedingt noch nicht über alle kognitiven, emotionalen und sozialen Fähigkeiten und Fertigkeiten, die man bis zum Erwachsenenalter ausbilden kann, verfügen. Weil sie also entwicklungsbedingt nur eingeschränkt eigenverantwortlich sind, dies aber werden sollen, müssen für sie eine Zeitlang besondere Regelungen getroffen werden, wenn garantiert werden soll, dass Kinder und Jugendliche das Ziel erreichen. Es ist das grundsätzliche Paradox im Verhältnis von Erwachsenen und Kindern in einer demokratischen Gesellschaft, dass die Autonomie eine Zeitlang eingeschränkt wird, damit die Autonomieentwicklung garantiert werden kann. Es ist aber nicht allein die Autonomie, die Kinder und Jugendliche nach allgemeiner Auffassung erst langsam erwerben. Im Allgemeinen und von der Wissenschaft gestützt geht man davon aus, dass das Verhältnis von Phantasie und Realität noch nicht in der gleichen Weise geklärt ist wie beim Erwachsenen, die Möglichkeiten, unterschiedliche sprachliche Ausdrucksformen wie Ironie, Sarkasmus u.Ä. zu unterscheiden, sind noch begrenzt, die Fähigkeit, unterschiedliche Perspektiven wechselweise einzunehmen, ist noch eingeschränkt, die Fähigkeit, Differenzierungen in der Darstellung und der Werteformulierung zu erkennen und abstrakte Folgerungen zu ziehen, sind ebenfalls noch nicht in der gleichen Weise vorauszusetzen wie im Erwachsenenalter. Es gibt also eine Menge kognitiver, emotionaler und sozialer Fähigkeiten, die beim Kind und Jugendlichen nicht in gleicher Weise vorausgesetzt werden wie beim Erwachsenen.

Kinder und Jugendliche sollen geschützt werden, damit anschließend etwas ermöglicht werden kann. Die Einschätzungen, welche medialen Einflüsse eine schädliche Wirkung entfalten könnten, ändern sich freilich mit den Werten in einer Gesellschaft und deshalb gilt für den Jugendmedienschutz eine besondere Begründungsverpflichtung dafür, was in einem bestimmten Alter noch nicht zugemutet werden darf. Denn genau dies ist die Freigabe der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK), eine Beschreibung dessen, was bis zu einem bestimmten Alter, das vorgestellter Weise mit einer Entwicklung korrespondiert, noch nicht angeschaut werden darf. Der Schutz oder die Einschränkung ist eine Frage der Perspektive und geschieht zum Zwecke der Ermöglichung von Entwicklungschancen. Dies ist der Kern der entsprechenden Regelungen.

Es liegt in der Natur der Sache, dass die Bewertungen einer solchen Regelung unterschiedlich ausfallen. Weil diese Regelung auf der Grundlage von Annahmen und Einschätzungen vorgenommen wird, die einem gesellschaftlichen Wandel unterworfen sind, müssen a) die Annahmen selbst sowie auch b) die Regelung immer wieder diskutiert und legitimiert werden. Im Sinne einer demokratischen Erziehung sind Jugendliche an dieser Diskussion in angemessener Weise zu beteiligen.

Diese individuell wirksame und gesellschaftlich diskutierte und entschiedene Einschränkung bei der Rezeption bewegter Bilder, nämlich Filme und Computerspiele kann man auf drei Ebenen betrachten.

Jugendmedienschutz auf drei Ebenen betrachten

Die drei Ebenen sind die

  • Makroebene,
  • Mesoebene,
  • Mikroebene.

Auf der Makroebene werden die Grundlagen für den gesellschaftlichen Regelungsbedarf betrachtet: Welche Werte und Entwicklungen hat es in einem bestimmten Bereich gegeben und wie verlaufen Diskurse, so dass es zu einer solchen Schutzregelung überhaupt kommt? Welche Vorstellungen zum Kind und zum Jugendlichen gibt es? Wie verändert sich eine gesellschaftliche Praxis und Norm in einem bestimmten Bereich, zum Beispiel „Sexualität“? Auf dieser Ebene kommen Fragen nach der individuellen Rezeption kaum zur Sprache.

Auf der Mesoebene betrachtet man eher die Ausführungen des Jugendmedienschutzes in ihrer konkreten Ausbuchstabierung und die Prozesse der Entscheidungsfindung sowohl bei der Medienauswahl als auch bei der Kriterienbestimmung für die Auswahl. Auf dieser Ebene spielen Annahmen über die entwicklungsbedingte Rezeptionsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen eine Rolle, weil sie die Entscheidung über die Altersbeschränkung legitimieren.

Auf der Mikroebene liegen eher Fragen nach den individuellen Einschätzungen und Entscheidungen einerseits, aber auch Nutzungsvorlieben oder -erfahrungen von Kindern und Jugendlichen andererseits.

In den Unterrichtsentwürfen wird versucht, die Verschränkung dieser drei Perspektiven auf den Jugendmedienschutz zu leisten, so dass Schülerinnen und Schüler zumindest ansatzweise ein Grundverständnis von historischen gesellschaftlichen Prozessen entwickeln und zugleich eine Verbindung zu ihrem eigenen Medienverhalten ziehen können. Das ist sicher ein ambitioniertes Ziel, und es kann in der Schule nur im Ansatz gelingen, die Verbindung zwischen Allgemeinem und Konkretem zu ziehen. Aber notwendig erscheint uns diese Verbindung deshalb, weil in dem Gewordensein einer Medien- und Gesetzeslandschaft die unterschiedlichen Werte unserer modernen (postaufklärerischen) Kultur verborgen liegen: freie Entfaltung der Persönlichkeit, Recht auf Unversehrtheit, demokratische Mitbestimmung, Pluralität der Werte usw. Das komplizierte Verfahren zur Feststellung einer Freigabe von Medien ist gewissermaßen ein demokratisches Verfahren, das versucht, die unterschiedlichen sich wandelnden Interessen und Positionen so miteinander ins Gespräch zu bringen, dass mit dem Ergebnis am Ende möglichst viele Menschen leben und akzeptieren können. Die verschiedenen Werteorientierungen im Allgemeinen und Vorstellungen zum Kind im Speziellen werden in diesem Verfahren wirksam und sichtbar.

Die Themen für den Unterricht

In einem Schwerpunkt 1: „Jugendmedienschutz: Wie viel Schutz oder Bevormundung brauchen Kinder auf dem Weg zur Freiheit und Autonomie?“ werden grundsätzliche Fragen erörtert, die sich um den Zusammenhang von Jugendmedienschutz und die gesellschaftlichen Vorstellungen von Kindheit und Jugend drehen und die Verfahrensweisen der FSK zur Festsetzung der Altersbeschränkungen für Filme transparent machen, weil damit auch Urteile über Medieninhalte gefällt werden, die Normen und Werte einer Gesellschaft widerspiegeln und manifestieren. Diesem Schwerpunkt sind zwei Unterrichtsideen zu folgenden Themen zugeordnet:

  • Was darf ein Kind? Veränderungen im Bild vom Kind.
  • Woher kommt die Sicherheit, was gut ist? Zum Verfahren der Altersbeschränkungen bei der FSK.

Die Themenschwerpunkte hängen thematisch eng zusammen – hier werden die Fragen zum Begründungszusammenhang (aus der Makroperspektive) und Fragen zu konkreten Verfahren (aus der Mesoperspektive) unterrichtlich modelliert.

In einem zweiten Schwerpunkt: „Es geht voll rein – mediale Lebenswelten durchdenken“ werden vier lebensweltlich konkrete Themen zum Jugendmedienschutz zusammengefasst: „Gewalt“, „Sexualität“, „Menschen- und Rollenbilder“ und „Realitätsverständnis“. Besonders reizvoll und kontrovers entwickeln sich Fragen, Annahmen und Urteile über Gewalt, Sexualität, Menschen- und Rollenbilder, aber auch das eigene Realitätsverständnis, wenn konkrete Beispiele genannt und subjektive Einschätzungen zur Diskussion gestellt werden können, wenn die allgemeinen Fragestellungen, die im Zusammenhang mit Jugendmedienschutz eine Rolle spielen, wieder in die Lebenswelt zurück übersetzt werden. Nur so werden eigene Erfahrungen von Schülerinnen und Schülern auch zur Sprache kommen können.

Die Unterrichtsideen im Einzelnen:

  • Schätz mal ein: Wie weh tut es? Gewaltformen unterscheiden und Bedrohungen abschätzen
  • Geschlechterstereotypen sind sexy: Wo hört der Film auf und fängst du an?
  • Im Spiegel des Films: Wie wir uns selbst sehen und sehen möchten
  • Die mediale Konstruktion von Wirklichkeit durchblicken

Die Unterrichtsideen sind den zwei Schwerpunkten zugeordnet, die sich im Abstraktionsniveau voneinander unterscheiden. Während die Aufgaben und Unterrichtsideen zum Schwerpunkt „Jugendmedienschutz: Wie viel Schutz oder Bevormundung brauchen Kinder auf dem Weg zur Freiheit und Autonomie?“ eher die Perspektive von oben auf das Thema Jugendmedienschutz wählen, werden in dem Schwerpunkt „Es geht voll rein – mediale Lebenswelten durchdenken“ auch Bezüge zu subjektiven Lebenswelt von Schülerinnen und Schüler gesucht, um nicht nur die institutionellen Zusammenhänge und Prozesse verstehen zu lernen, sondern auch die Problemlagen in konkreten Lebensbereichen zu erkennen, die mit der Frage verbunden sind, welche Medieninhalte Kinder und Jugendliche konsumieren sollten.

Die Unterrichtsideen und Unterrichtsmaterialien

Die Unterrichtsideen und -materialien sind keinem Fach in spezifischer Weise zugeordnet. Vielmehr kann aus unterschiedlicher Fachperspektive (Deutsch, GL, Politik und Wirtschaft, Ethik, Religion) die Arbeit an den Themen vorgenommen werden. Beide Schwerpunkte beinhalten Unterrichtsideen, die im Zusammenhang oder im Einzelnen umgesetzt werden können. In den seltensten Fällen lassen sich die Ideen wohl einfach 1:1 übersetzen, sondern müssen immer etwas abgewandelt, verändert und angepasst werden. Die Unterrichtsideen zu den einzelnen Themenschwerpunkten lassen sich entweder hintereinander durchführen (so wie sie in den einzelnen Vorschlägen entwickelt sind) oder sie lassen sich auch teilweise einzeln umsetzen. Dies bleibt der einzelnen Lehrkraft überlassen. Nicht immer wird man so viel Zeit zur Verfügung haben, wie es die Unterrichtsideen vorschlagen.

Die Ideen dienen der Anregung, sich mit einem möglicherweise als sperrig empfundenen Thema auf eine mitunter auch unterhaltende Weise auseinanderzusetzen. Es wurde darauf geachtet, jeden Themenschwerpunkt so aufzuarbeiten, dass unterschiedliche Sozialformen und Methoden eingesetzt werden und so ein abwechslungsreicher Erarbeitungsprozess möglich wird. Die Diskussion, Meinungsbildung und Erörterung spielt in verschiedenen Schwerpunkten eine wichtige Rolle. Dies ist der didaktischen Zielperspektive des Medienpaketes geschuldet, dass das Thema „Jugendmedienschutz“ als ein Thema behandelt wird, an dem man seine Urteilsfähigkeit schulen kann.

In allen Unterrichtsideen werden einzelne Unterrichtsangebote ausgeführt. Diesen Angeboten zugeordnet sind Vorlagen mit Texten und Bildern zum Thema, Materialien des Medienpaketes und Aufgabenblätter, die Aufgaben für die Hand der Schülerinnen und Schüler enthalten. Darüber hinaus wird auf frei zugängliches Material im Internet oder im Fernsehen verwiesen.

Insgesamt geht es bei den verschiedenen Angeboten für den Unterricht darum, Jugendliche in dem schwierigen Prozess des Erwerbs einer kritischen Urteilsfähigkeit, die das Bewerten, Begründen und Handeln umfasst, zu unterstützen und ihnen deutlich zu machen, wie Institutionen und Prozesse demokratischer Willensbildung ineinandergreifen und funktionieren und wie diese auf unterschiedlichen Ebenen betrachtet werden können. Dies kann man eine emanzipierte Haltung gegenüber Medien nennen.