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Unterrichtsideen

IV. Geschlechterstereotype sind sexy: Wo hört der Film auf und fängst du an?

Nach einer Studie des Instituts für Sexualforschung und Forensische Psychiatrie der Universität Hamburg aus dem Jahre 2009 konsumieren etwa 1/3 der 16- bis 19-Jährigen mindestens einmal in der Woche Pornos. Die Mädchen dagegen konsumieren statistisch gesehen in nicht nennenswerter Häufigkeit Pornos. Im Sinne einer emanzipatorischen Erziehung kann es pädagogisch nicht darum gehen, Jugendlichen das Rezipieren von Pornos bloß zu verbieten (juristisch ist der Konsum ja eindeutig geregelt). Was gegenüber Kindern durchaus eine angemessene pädagogische Maßnahme – und hier spielt es keine Rolle, ob es sich um Eltern oder andere erwachsene Erziehungsverantwortliche handelt – wäre, kann gegenüber Jugendlichen nicht handlungsleitend sein. Im Verlauf der Pubertät spielt die Entwicklung einer sexuellen Orientierung, die Stellung in der Peergroup, der Erwerb eines rollentypischen Verhaltens oder die Ablehnung desselben, die Wahrnehmung des eigenen Körpers und das Experiment mit dem eigenen Körper eine herausragende Rolle. In diesem Spiel sind Jugendliche weitgehend auf sich allein gestellt, erziehungsverantwortliche Erwachsene können hier nicht lenkend und beispielgebend mithandeln. Medien spielen quasi naturgemäß deshalb in der Pubertät eine herausragende Rolle, weil hier spielerisch die Welt erkundet, erfahren und verarbeitet wird. Jugendliche finden in Medien einen nicht gefilterten, nicht-pädagogischen Zugang zur Welt und entwickeln anhand dessen Selbstkonzepte und Konzepte von der Welt, die sie zunehmend mit Leben füllen müssen. Da in den Medien sozusagen die (sexuelle) Welt in ihrer ganzen Fülle abgebildet ist und die Jugendlichen selbst (noch) nicht in der Lage sind, diese sexuelle Welt körperlich und gewissermaßen unter Realbedingungen zu betreten, wird die ganze Welt des Pornos zu einer Spielwiese, auf der Phantasien, Begehrlichkeiten, Wünsche und Ängste ausgetobt werden können. Zugleich ist diese Spielwiese selbst eher ein gefährliches Pflaster als eine idyllische Spiellandschaft. Aber genau das macht für Jugendliche in aller Regel die Attraktivität von Erfahrung aus: Dass man den Ausgang der Dinge nicht immer kennt. Durch Verbote werden Jugendliche kaum eine emanzipierte Haltung zu den pornographischen Angeboten im Internet, in Film, Fernsehen und im „echten“ Leben erwerben können. Eine emanzipierte Haltung dazu erwerben hieße, dass man sich über seine (Rezeptions-) Motive Klarheit verschafft und in Abwägung der eigenen Bedürfnisse und der Bedürfnisse anderer „ja“ oder „nein“ sagen lernt. Es heißt aber auch, dass man nüchtern und analytisch solche Medienangebote betrachten kann, wenn man das möchte. Eine emanzipierte oder aufgeklärte Haltung zum eigenen Medienkonsum und dem Medienkonsum anderer zu entwickeln umfasst darüber hinaus auch, dass man die Gründe, Pornos anzusehen, kennt. Diese sind nämlich nach einer Studie von Gunter Schmidt und Silja Matthiesen (zusammengefasst dargestellt in Schmidt, Gunter; Matthiesen, Silja: Pornografiekonsum von Jugendlichen – Fakten und Fiktionen. In: Schuegraf, Martina; Tillmann, Angela (Hrsg.): Pornografisierung von Gesellschaft. Konstanz und München: UVK 2012, S. 245-257) sehr unterschiedlich:

„Es gibt drei Settings, in denen Jungen Pornographie konsumieren; Alleine, zusammen mit Gleichaltrigen (…), zusammen mit der Freundin“ (Schmidt/Matthiesen 2012, S. 248). Wenn Jugendliche alleine Pornos sehen, dann tun sie das in aller Regel, um zu masturbieren. Anders ist dies allerdings, wenn sie Pornos gemeinsam sehen. Gemeinsam mit Gleichaltrigen des gleichen Geschlechts werden mitunter sogar besonders harte oder abstoßende Szenen oder Clips konsumiert. Hierbei geht es kaum um die Erregung oder die Befriedigung von sexuellen Bedürfnissen, sondern vielmehr um Fragen der männlichen Identität und der Positionierung bzw. der Abgrenzung von nicht akzeptierten sexuellen Praktiken. In der Gruppe erfüllen Pornos offenkundig eher die Funktion eines Katalysators für die sexuelle Orientierung, die man in der Gruppe darstellt. Der Konsum von Pornos zusammen mit der Freundin oder dem Freund ist vergleichsweise selten und bei Jugendlichen eher mal ein solitäres Ereignis als eine regelmäßige Praxis. Offenbar sind die jungen Paare in ihrer Sexualität stärker auf sich bezogen als auf die medialen Stimulierungen. Insgesamt sind Schmidt/Matthiesen davon überzeugt, dass Jugendliche beiderlei Geschlechts sehr gut zwischen virtueller und realer Sexwelt unterscheiden können und sich über ihre eigenen Bedürfnisse bzw. der Bedürfnisse der Partner im Gegensatz zu den Bedürfnissen von Frauen und Männern in Filmen im Klaren sind.

Selbstverständlich verbietet es sich im Unterricht, Pornos aus didaktischen und pädagogischen Gründen zu zeigen. Dies ist auch nicht notwendig, um über das eigene Verhältnis zur Geschlechtlichkeit ins Gespräch zu kommen. Im Folgenden werden Unterrichtsideen zum Fragenkomplex Geschlechterstereotype im Verhältnis zur eigenen geschlechtsspezifischen Identität ausgeführt, insofern kann die Überschrift auch als Frage verstanden werden: „Geschlechtsstereotype sind sexy?“

Kompetenzerwerb im Überblick

Sicher in digitalen Umgebungen agieren
Risiken und Gefahren in digitalen Umgebungen kennen, reflektieren und berücksichtigen
Strategien zum Schutz entwickeln und anwenden

Gesundheit schützen
Digitale Technologien gesundheitsbewusst nutzen

Medien analysieren und bewerten
Wirkungen von Medien in der digitalen Welt analysieren und konstruktiv damit umgehen

Medien in der digitalen Welt verstehen und reflektieren
Chancen und Risiken des Mediengebrauchs in unterschiedlichen Lebensbereichen erkennen, eigenen Mediengebrauch reflektieren und gegebenenfalls modifizieren

Hinweis: Nähere Informationen zu den Kompetenzbereichen und dem Unterrichtsmaterial finden Sie in der „Didaktischen Landkarte“ im Bereich „Didaktik“.

Unterrichtsvorschläge

  • 1.) Mich als Mann sehen – Mich als Frau sehen und gesehen werden (90 Min. bzw. 2 x 45 Min.)

    Szenisches Spiel: Du wirst für eine seriöse Partnervermittlung gefilmt und sollst dich selbst vorstellen in ein paar Sätzen und danach deutlich sagen, was du für einen Partner suchst.

    Die anderen bekommen den Beobachtungsauftrag

    1. Gestik und Mimik und die Aussagen abzugleichen -> Was passt zusammen? Was nicht?
    2. Die Stimmigkeit des Auftritts zu beurteilen -> Was überzeugt den Betrachter? Was nicht?

    In der Vorbereitung des Szenischen Spiels können verschiedene Attribute durchgegangen werden, möglicherweise hilft es auch, Typen zu benennen oder zu unterscheiden.

    Das Szenische Spiel muss nicht zwingend vor der ganzen Klasse geschehen. Es ist auch möglich, die Klasse in zwei Kleingruppen zu teilen oder noch kleinere Gruppen zu bilden, in denen dann das Vorspiel geschieht.

    Auswertung des Szenischen Spiels (Gespräch): Am Ende sollte allerdings in der Klasse gemeinsam über die Beobachtungen gesprochen werden. Welche Stereotype werden häufig dargestellt? Welche Mimik und Gestik gehört zu dieser Figur/Type/Rolle? Finden die Zuschauerinnen und Zuschauer die Stereotype attraktiv? Wenn ja/nein, warum/warum nicht? Was macht es schwierig, keine Stereotype zu spielen? Auf welche Gesten und Aussagen kommt es besonders an?

    Die Auswertungsfragen lassen sich selbstverständlich noch erweitern. Es ist hilfreich für die weitere Planung des Unterrichts, wenn sich die Lehrkraft Notizen macht, die Äußerungen der Schülerinnen und Schüler parallel oder aus der Retrospektive notiert. Auf diese Äußerungen kann man dann im Folgenden wieder Bezug nehmen.

     

  • 2.) Welche Vorstellungen von Geschlechterrollen sind stereotyp? Was sind stereotype Geschlechterrollen? (90 - 180 Min. bzw. 2 - 4 x 45 Min.)

    Vorlage zum Thema „stereotype Geschlechterrollenlesen und diskutieren: Anhand der Vorlage kann der Begriff „Stereotype“ geklärt werden. Stereotype Geschlechterrollen kennen alle Jugendlichen in der Regel, sie verfügen aber nicht gleichermaßen über ein begriffliches Inventar, das sie in diesem Schritt der Erarbeitung aneignen können. Diese Phase kann je nach Einschätzung auch ausgedehnt werden und auf die Bilder in der Werbung übertragen werden.

    Filme/Filmausschnitte im Vergleich sehen: Gemeinsam oder in Kleingruppen werden die Filme „13 Stufen – Tagebuch einer Beziehung“ oder „Heimspiel“ und „eDIT Filmmaker’s Festival Trailer“ gezeigt. (Der Film „13 Stufen – Tagebuch einer Beziehung“ sowie ein Community-Tagebuch mit authentischen Liebes-Geschichten im Internet sind unter https://13-stufen.de/ zu finden, der Film kann für 4 EUR heruntergeladen werden.) Der Film „Heimspiel“ kann auch ausschnittsweise betrachtet werden. Dies ist besonders dann ratsam, wenn man zu einem anderen Zeitpunkt stärker auf das Thema „Menschenbilder“ fokussieren möchte. Der Film ist sehr drastisch und hat möglicherweise auch auf Jugendliche eine starke Wirkung. Zu diesem Zeitpunkt der Unterrichtseinheit wäre das nicht unbedingt wünschenswert.

    Merkmale in der Kleingruppe herausarbeiten: In Vierergruppen die stereotypen Verhaltensweisen oder Kennzeichen festhalten. Diese Gruppenarbeit kann ungesteuert geschehen und wird dann nur über den Arbeitsauftrag gelenkt: Arbeitet heraus, welche stereotypen Verhaltensweisen dem Mann und der Frau im Film zukommen. Haltet auch fest, wenn die Männer und Frauen sich ganz und gar nicht stereotyp verhalten haben. Die Erarbeitung kann aber auch über Platzdeckchen geschehen, die die Gruppenarbeit stärker im Prozess strukturieren und verhindern können, dass sich einzelne aus der Gruppe vorschnell durchsetzen (Arbeitsblatt „Welche Vorstellungen von Geschlechterrollen sind stereotyp?“).

    Vorstellen der Gruppenarbeit im moderierten Kreisgespräch: In der Klasse werden die stereotypen Bilder von Weiblichkeit und Männlichkeit verglichen und diskutiert. Man setzt sich dafür am besten in den Stuhlkreis, weil hier die Aufmerksamkeit besonders konzentriert werden kann auf das, was andere im Kreis sagen. Die Moderation sollte darauf achten, dass sie die Beiträge der Jungen und Mädchen immer wieder aufeinander bezieht und mit Nachfragen zu konkreteren Ausführungen anregt.

  • 3.) Geschlechterstereotype in Medien und Gesellschaft (45 Min.)

    Text-Bild-SeitenGeschlechterstereotype in Medien und Gesellschaft“ anschauen/lesen und gemeinsam besprechen.

  • 4.) Geschlechterstereotype in der Werbung (180 Min. bzw. 4 x 45 Min.)

    Plakate erstellen/Collagen entwerfen: Im Rückgriff auf die Erarbeitung der letzten Stunden kann in diesen Stunden am Material aus der Werbung kreativ gearbeitet werden. Den Schülerinnen und Schülern wird der Arbeitsauftrag gegeben, für eine Fotoausstellung eine Fotocollage zum Thema „Männer-Frauen 2012-2062“ zu erstellen. Es dürfen Werbematerialien, aber auch eigene Fotos genutzt werden. Das Bild soll für sich selbst sprechen und darf keine Schrift enthalten. Es sollte freigestellt sein, ob Schülerinnen und Schüler in der Kleingruppe, in Partnerarbeit oder alleine arbeiten.

    Ausstellung der Arbeiten: Im Flur oder dem Klassenzimmer werden die Arbeiten ausgestellt und es wird den Macherinnen und Machern zu der Collage eine Rückmeldung gegeben: Neben jedes Bild kann ein Notizzettel gehängt werden, auf dem die Rückmeldung, die konstruktiv sein muss, notiert werden kann.

    • Material und Medien

      Große Papierbögen/Plakate, Filzstifte, Scheren, Klebestifte

  • 5.) Möglicher Anschluss: Bilder wird man nicht mehr los? (45 - 90 Min. bzw. 1 - 2 x 45 Min.)

    Über Sexualität in der Pornographie nachdenken in geschlechtergetrennten Gruppen: In den geschlechtergetrennten Gruppen sieht man das Video „Jugendliche und Pornographie“ und erörtert die Frage: Was können Bilder mit mir machen? Was macht das „Nein-Sagen“ so schwer?

    Über Strategien nachdenken: In Partnerarbeit entwickeln die Zweiergruppen Ideen dazu, wie man die Bilder im Kopf wieder los wird oder was einem bei der Bewältigung von Bildern im Kopf helfen kann. Die Ergebnisse dieses Arbeitsprozesses müssen nicht veröffentlicht werden.

    Kreisgespräch: Was möchte ich gerne sein? Was wünsche ich mir?

  • 6.) Mich als Mann sehen – Mich als Frau sehen und gesehen werden (90 Min. bzw. 2 x 45 Min.)

    Nach der Beschäftigung mit den Geschlechterstereotypen kann das Szenische Spiel vom Anfang noch einmal durchgeführt werden. Es kommt bei dem zweiten Spiel nicht darauf an, es jetzt zwingend anders und nicht stereotyp zu spielen. Es kommt eher schauspielerisch darauf an, etwas aus seiner Rolle zu machen und stärker das eigene Bild vom Mann/von der Frau darzustellen. Man kann jeden Auftritt gegebenenfalls auch richtig üben und mehrmals wiederholen lassen.

    Szenisches Spiel: Du wirst für eine seriöse Partnervermittlung gefilmt und sollst dich selbst vorstellen in ein paar Sätzen und danach deutlich sagen, was du für einen Partner suchst.

    Die anderen bekommen den Beobachtungsauftrag:  Die Stimmigkeit des Auftritts zu beurteilen à Was überzeugt den Betrachter? Was nicht?

    Die Spielerinnen und Spieler bekommen eine Rückmeldung zu ihrer Darstellung.  Das Szenische Spiel kann auch abgewandelt werden: Es wird dann die Begegnung mit der Traumfrau/dem Traummann gespielt. Die Szenen sollten ganz kurz sein. Der Beobachtungsauftrag ist derselbe. In der Reflexion kann in diesem Fall noch stärker auf die Frage fokussiert werden, wie man sich in der Begegnung gefühlt hat.

     

  • ​​​​​​​7.) Sexismus als eine Form der Gewalt begreifen (90 Min. bzw. 2 x 45 Min.)

    Die Frage, wann Diskriminierung beginnt und die eigene Lust im weitesten Sinne beginnt, ist nicht immer einfach zu beantworten. Dafür ein Gespür zu bekommen und zu erkennen, dass die Grenzen der Belastung durch Erniedrigung und Diskriminierung durchaus unterschiedlich weit oder eng empfunden werden, es aber auch objektiv erniedrigende Verhaltensweisen gibt, ist eine wichtige Lernerfahrung für Jugendliche.

    In zahlreichen Zeitschriftenartikeln werden Beispiele für sexistische und diskriminierende Diskurse gegeben. Anhand eines solchen Beispiels kann eine Kontroverse in der Klasse diskutiert werden

    Debatte: Wo stehen Sie? Nachdem die Schülerinnen und Schüler den Artikel gelesen haben, versetzen sie sich in die Rollen des Zeitschriftenredakteurs, einer Feministin, eines Moderators, einer Frau und eines Mannes und diskutieren über die gelesenen Argumente.